Ein Nachruf auf Terry Pratchett

Ich weiß gar nicht, wo ich anfan­gen soll. Ter­ry Prat­chett ist gestor­ben und es dreht mir das Herz um. Ich bin Phi­lo­lo­gin, heu­te, und Sir Ter­ry Prat­chett ist immer noch der wich­tigs­te Schrift­stel­ler mei­nes Lebens. Ohne die Schei­ben­welt und ihren gro­ßen, von aller “Sati­re” und “Iro­nie” unge­trüb­ten Glau­ben an die Mensch­lich­keit, hät­te etwas sehr Wich­ti­ges gefehlt. Es fehlt jetzt. Prat­chetts Tod ist kei­ne Über­ra­schung. Seit Jah­ren hat sein Kör­per sich lang­sam ver­ab­schie­det, in Wür­de woll­te er ster­ben, selbst­be­stimmt, nicht dement ver­däm­mern. Sei­ne Fami­lie hat es ver­laut­bart, ein­ge­schla­fen ist er im Kreis sei­ner Liebs­ten und hat selbst mit sei­ner letz­ten Ges­te uns allen ein Geschenk gemacht; dass wir uns nicht grä­men müs­sen wegen eines Frei­tods im Lei­de, an die Unglück­li­chen hat er gedacht, nicht an sich selbst. Und das schon von Anfang an. An die dicken Mäd­chen, die nie­mand liebt und die unter der Bett­de­cke lesen, an die, denen das Leben nichts in die Wie­ge gelegt hat, an die Rekru­ten der Nar­ren­gil­de, die nichts zu lachen haben und doch per­for­men müs­sen jeden Tag.

Ich war ein ein­sa­mes klei­nes Mäd­chen und habe eine lan­ge Schul­zeit hin­durch die Remit­ten­den­ti­sche der Kauf­häu­ser bela­gert, bil­li­gen Lese­stoff kilo­wei­se fort­ge­schleppt, Sci­ence Fic­tion haupt­säch­lich, die Hey­ne-Schwarz­rü­cken, immer wie­der auch Zufalls­fun­de gro­ßer Autoren. Mein ers­tes Buch von Ter­ry Prat­chett war Wachen! Wachen!, eine ver­rück­te Geschich­te über einen ver­bit­ter­ten Trin­ker und Revo­lu­ti­ons­ve­te­ran (das erfah­ren wir erst vie­le Bücher spä­ter). Einer, der einen Ter­ror­an­schlag auf den chao­ti­schen Stadt­staat der Stadt­staa­ten, das for­mi­da­ble Ankh-Mor­pork, zum Anlass nimmt, aus sei­nem tiefs­ten Inne­ren zu neu­er Kraft zu fin­den und sich und die Stadt zu ret­ten. Natür­lich geschieht so etwas auf der Schei­ben­welt nicht mit Spreng­stoff, son­dern mit Dra­chen. Und es geht nicht dra­ma­tisch zu, son­dern hoch­ko­misch, wenn ein Hau­fen Dilet­tan­ten mit Magie die Macht ergrei­fen will. Wich­ti­ge Figu­ren, die den Fans ans Herz gewach­sen sind und die Prat­chetts Huma­nis­mus ver­kör­pern, stol­pern poin­ten­reich durch den Plot. Die Män­ner der Stadt­wa­che, kor­rup­te Bul­len, Ver­lie­rer, Freaks. Ein Königs­sohn, der von Zwer­gen auf­ge­zo­gen wur­de und der Stadt­wa­che bei­tritt. Der Hüter der größ­ten denk­ba­ren Biblio­thek – ein Aff… Ver­zei­hung, ein Orang Utan. Mäch­ti­ge Zau­be­rer, wobei sich mäch­tig auf den Bauch­um­fang bezieht und nicht auf bedrü­cken­de Hier­ar­chien. Gevat­ter Tod, der heu­te nacht mit Ter­ry Prat­chett über eine dunk­le Ebe­ne wan­dert und ihm unse­re Nach­ru­fe vor­liest. Lord Veti­na­ri, der Bor­gia unter den Medi­ci der Fug­ger der Renais­sance­fürs­ten (auch ein Kind der Revo­lu­ti­on, die Ankh Mor­porks Auf­stieg vom Elend­sloch zur Stadt, in der man am Leben blei­ben kann, ermög­licht hat). Wer Prat­chett wirk­lich noch nicht kennt, ist gut bera­ten, mit Wachen! Wachen! in das umfang­rei­che Schei­ben­welt-Werk ein­zu­stei­gen. Knatsch­bunt war das Cover der Erst­aus­ga­be, die ich rasch ver­schenkt und ersetzt und neu ver­schenkt und ersetzt habe. Illus­triert von Josh Kir­by, selbst schon Kult, und wäre es nicht so skur­ril gewe­sen, hät­te ich den wich­tigs­ten Autor mei­nes Lebens viel­leicht übersehen.

Das ist zum Glück nicht pas­siert. Wachen! Wachen! wur­de der ers­te Band mei­ner fast voll­stän­di­gen Samm­lung, ich habe Trä­nen gelacht, das Buch direkt noch mal gele­sen, ange­fan­gen, auf mehr zu war­ten. Damals muss­te man noch in Buch­hand­lun­gen gehen, wenn man Tex­te kau­fen woll­te, und das tat ich auch. Die Edi­ti­ons­ge­schich­te der Schei­ben­welt ist ein The­ma für sich, eine wirk­lich biblio­phi­le Gesamt­aus­ga­be bleibt ein Desi­de­rat, und so ist – die ech­ten Fans sehen sich um und bli­cken in ihre Rega­le – jede Prat­chett­samm­lung ein wil­des Gestü­ckel, mög­li­cher­wei­se besitzt ein tap­fe­rer… Mann namens Nob­by Nobbs ein Hemd in genau die­sem Dessin.

Es ist nicht abzu­strei­ten, dass Prat­chett anfangs Pulp war. Die Schei­ben­welt wur­zelt in der Sati­re, der auf die selbst schon augen­zwin­kernd erzähl­ten Hel­den des Fan­ta­sy-Sub­gen­res der “Sword and Sorcery”, allen vor­an Fritz Lei­bers unsterb­li­che (Anti-)Helden Fafhrd und Gray Mou­ser. Das Komi­sche, der Wort­witz, absurd ver­frem­de­te The­men aus Zeit­ge­sche­hen, Kanon und Pop, waren das Sub­strat, aus dem Prat­chett sei­ne Geschich­ten gezo­gen hat. Aber das Komi­sche wur­de früh zum Sub­ver­si­ven und das Absur­de nicht ver­spot­tet, son­dern lie­be­voll hin­ge­nom­men und die Anti­hel­den fan­den sich – mit­un­ter vor Angst schrei­end – auf der Sei­te von etwas wie­der, das man als “das Gute” bezeich­nen muss. Und all das reif­te von Buch zu Buch zu immer ernst­zu­neh­men­de­rer Lite­ra­tur. Jeder neue Text brach­te Prat­chetts Kunst vor­an, alle paar Bän­de kam ein Qua­li­täts­sprung – und mit “Die Nacht­wäch­ter” war, so mei­ne ich, ein Zenit erreicht. Dann kam die Krank­heit und ich kann nur ahnen, wie sehr Prat­chett selbst mit der Dia­gno­se geha­dert haben muss, denn er muss gewusst haben, dass sein Poten­zi­al als Künst­ler noch lan­ge nicht aus­ge­schöpft war. Mei­ne Samm­lung ist fast kom­plett. Die letz­ten Bän­de habe ich mich nicht mehr getraut. Ich woll­te nicht nach­den­ken müs­sen, ob durch einen schwä­che­ren Plot, eine unty­pi­sche Figu­ren­füh­rung, all­zu ste­reo­ty­pe Dia­lo­ge nicht doch die Krank­heit sprä­che. Ein Assis­tent war Beglei­ter sei­ner letz­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen und eins, das kann ich nicht bele­gen und es ist auch völ­lig wum­pe, habe ich im Scherz immer schon gesagt: Er schreibt die Bücher nicht allei­ne. Die pro­duk­ti­ven Jah­re, in denen jeweils zwei Prat­chetts in den Han­del kamen, waren auch Jah­re, in denen immer ein Band “für die Fans” und einer “für die Kunst” zu sein schien. Viel­leicht hat er den Plot gemacht und Kobol­de haben lie­be­voll die Sei­ten gefüllt, viel­leicht hat er auch eins im Urlaub run­ter­ge­rat­tert und am ande­ren gefeilt – belieb­ter waren ein­deu­tig die Bücher für die Fans. Aber ich lie­be die Mei­len­stei­ne. Natür­lich hat Prat­chett nicht allei­ne geschrie­ben. Wie kaum ein ande­rer Autor hat er früh das Inter­net zur Kom­mu­ni­ka­ti­on mit sei­nen Fans genutzt. Auf Con­ven­ti­ons und Mes­sen ist er gedul­dig auf uns ein­ge­gan­gen, hat Fan­post beant­wor­tet und sei­ne Figu­ren atmen die­se Kon­tak­te und wer­den wie er geliebt. Er ist es wert. Auf einer Con habe ich ihn erlebt, da war ich noch eine ganz jun­ge Krö­te. Hat­te mich nicht getraut, in den Raum mit der exklu­si­ven Lesung und Fan­run­de ein­zu­tre­ten, mich scham­voll an der Tür her­um­ge­drückt. Prat­chett hat das gese­hen. Und nicht begon­nen mit der Lesung. Statt­des­sen auf mich gezeigt und dafür gesorgt, dass man mich durch­ließ und ich mit­sein konn­te, und erst, als das zu sei­ner Zufrie­den­heit pas­siert war, als wirk­lich nie­mand leer aus­ge­hen wür­de, hat er mit der Lesung ange­fan­gen. Das bewah­re ich mir auf und es ist mir viel mehr wert als irgend­ei­ne Unter­schrift auf einem Stück Papier.

Zu den wich­tigs­ten Din­gen, die Prat­chett in sei­nen Büchern beschrie­ben hat, das ist im Ange­sicht der Welt­la­ge viel­leicht eine Lek­ti­on, die auf­zu­fri­schen wäre, gehört die fun­da­men­ta­le Akzep­tanz und Koexis­tenz jeg­li­cher Reli­gi­ons­for­men. Einer der frü­hen Mei­len­stei­ne war ein Roman namens Ein­fach gött­lich, in dem ein Gott in pre­kä­rer Lage auf den letz­ten tief­gläu­bi­gen Unter­tan einer mör­de­ri­schen Theo­kra­tie trifft. Der Name die­ses güti­gen, etwas zurück­ge­blie­be­nen Kna­ben erin­nert nicht zufäl­lig an Bud­dha und es ist am Ende ein besieg­ter Kopf­ab­schnei­der und Fol­te­rer, der von Gevat­ter Tod durch eine – genau – jen­sei­ti­ge dunk­le Land­schaft geführt wird, bis sein Herz zur Ruhe kommt.

Prat­chett hat auch den Begriff des L‑Space erfun­den, Libra­ry Space, eine Raum­di­men­si­on, die alle Bücher mit allen ande­ren ver­bin­det, den geschrie­be­nen, den unge­schrie­be­nen, den denk­ba­ren und den undenk­ba­ren, eine Raum­di­men­si­on, die von Biblio­thek zu Biblio­thek durch­wan­dert wer­den kann. Bor­ges stand Pate für die­sen Raum, der so viel mehr kann als nur Text­theo­rie zu ver­an­schau­li­chen. Nicht alle sind aus dem L‑Space zurück­ge­kehrt. Es ist gefähr­lich, dort zu wan­dern. Bücher schnap­pen nach einem. Regal­rei­hen füh­ren in Regio­nen, die nie­mand kennt. Ter­ry Prat­chett hat den L‑Space durch­wan­dert und nie­der­ge­schrie­ben, was er gese­hen hat. Er hat sei­ne Ener­gie in den Glau­ben an eine Mensch­lich­keit gesteckt, in einen ein­zig­ar­ti­gen Humor (tat­säch­lich hat es nie­mand geschafft, Prat­chett zu kopie­ren) und in ver­dammt lus­ti­ge Bücher. Er hat als Künst­ler einen Weg beschrit­ten, den mit­zu­ver­fol­gen eine inni­ge Freu­de war und bei jeder neu­en Lek­tü­re ist. Dafür bin ich ihm für immer dankbar.

Auf Wie­der­se­hen, Ter­ry Prat­chett. Viel zu früh. Die Stadt­wa­che steht Spa­lier. In einem Zim­mer ohne Fens­ter weint Lord Vetinari.

Brit­ta Peters


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2 Anmerkungen

  1. Ich heu­le.

    Bis­lang habe ich Prat­chett nie gele­sen — ihn immer wie­der emp­foh­len bekom­men, es immer vor­ge­habt, es nie geschafft -, aber ich heule.

    Dan­ke.

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