ACHTUNG: Dieser Artikel enthält Spoiler und geht davon aus, dass die erste Staffel der Serie bereits gesehen wurde. Er ruiniert aber auch nicht sämtliches Vergnügen, wenn sie erst nach seiner Lektüre angeschaut wird.
Was nach der Ausstrahlung der ersten Staffel von Star Trek Picard bleibt, ist unser Unbehagen über einen Serien-Ableger, in der die utopische, von den Fans bislang für unerschütterlich gehaltene Föderation der vereinigten Planeten auf bedrohliche Weise strauchelt.
Die Serie zeigt uns die einstmals mächtigen und autarken Romulaner als heimatlose Flüchtlinge, Failed Worlds voller Ungleichheit und Gewalt. Welten, denen niemand mehr zu Hilfe eilt und deren Elend einfach hingenommen wird von den Völkergemeinschaften der großen politischen Bünde. Bünde, deren Organisationen das Versprechen nicht mehr einlösen, durch sie würden die Besten der Besten Glück und Wohlstand für Alle garantieren und jeder erhielte in ihnen einen Platz nach Fähigkeit und Neigung. Talent, das nicht mehr befördert wird, sondern glanzlos scheitert. Ausgeschlossen aus hermetischen Karrierezirkeln agieren Figuren, deren Verdienste und Potenziale vergangene Serien ausführlich erzählt haben, sie handeln nun schmerzhaft unvernetzt, prekär und wirkungslos. Die Hüter des verbliebenen Wohlstands beuten Talent in dieser Zukunft aus, ohne es wirklich an Bord zu holen.
Die Folge sind beschädigte und ruinierte Lebensläufe, eine lethargisch in die Ohnmacht gleitende Welt(-en)polizei und eine Korrosion des Heldentums schlechthin. In Star Trek Picard gibt es nicht einmal mehr unbesungene Helden, nur Kriminelle, die bestenfalls mit Phaserpfeil und Bogen den Reichen nehmen und Armen geben. Da waren frühere Serien weiter, in denen ein Robin Hood von omnipotenten Aliens als Metapher für die Rückständigkeit der Menschheit herangezogen werden konnte.
Zeit für profundes Unbehagen
Und es ist kein Lichtblick in Sicht. Stattdessen schlittern wir in eine Neuverhandlung dessen, was ein Mensch ist. Und was ein wertvolles Leben sein darf. Präfiguriert wurde das Thema der künstlichen Lebensform früh durch den Androiden Data, dessen Minderwertigkeitskomplex noch mit seiner dysfunktionalen Familiensituation erklärt werden kann, so wie eigentlich alle künstlichen Intelligenzen in Star Trek aus den Demiurgenhänden versagender Eltern stammen – von vielfältig Holodeck-Verkorksten bis hin zum neurotischen Klein-Klein der alle Serien begleitenden Soong’schen Androidengenerationen.
Selbst die Borg waren als Nanoparasiten von Beginn an eher peinlich und konnten nur mit aufwendigen Materialschlachten überzeugen. Ob Star Trek Picard uns eine zeitgemäße Singularität erzählen wird und ob die Borg dabei eine neue Rolle spielen, bleibt abzuwarten. In der ersten Staffel der Serie erleben wir noch künstliche Intelligenzen, die genauso an den Umständen scheitern wie ihre biologischen Vettern. Die wollen sie genau so wenig mitspielen lassen wie die weniger privilegierten organischen Artgenossen. Der greise Picard wird – unfreiwillig – zu ihrem Botschafter, ein zweifelhaftes Privileg angesichts seines Scheiterns, der Naturkatastrophe nicht auch eine humanitäre Katastrophe für das ehemalige romulanische Reich folgen zu lassen. (Fan-Theorie: Die Heimatsonne der Romulaner ist doch nie im Leben einfach so kollabiert, da hat doch jemand nachgeho… oh, ein goldener Abrams…)
Gruselfaktor JWD
Die eigentliche Singularität kommt in Star Trek Picard von ganz weit außerhalb. Die Romulaner kennen sie aus ihren Mythen und verdanken ihr massive Ängste vor jeder Form künstlicher Intelligenz. Die geheimnisvollen Fremden werden – wo immer sie nun letztlich herkommen – zum Staffelende als Bösewichte oder Räuber (das wird sich herausstellen) gerade noch einmal abgewehrt. Das Publikum wird sehen, was die die Entitäten wollen und ob sie das Wimmeln der biologischen und synthetischen Sprechtiere der Milchstraße überhaupt als Gegnerschaft wahrnehmen.
Unser Unbehagen angesichts von Jean-Luc Picard, einem Greis, der nichts mehr ausrichten kann, dessen geistige und körperliche Schwäche nicht nur unübersehbar durch den Darsteller transportiert, sondern auch im Plot herausgestellt wird, ist die Angst vor einem Tod ohne Erben. In den öffentlichen Kanälen sorgten sich Fans schon vor dem Beginn der Corona-Pandemie um Patrick Stewart. In der Serie tun das die alten Weggefährten, die den Pensionisten vom Reisen abhalten wollen, Ärzte, die eine Demenzdiagnose stellen. Dass Picard die erste Staffel als künstliche Lebensform (inklusive weiterhin eingebautem Verfallsdatum) so gerade überlebt, macht die Lage nicht stabiler. Dazu tragen auch die alten Protagonisten bei, deren Rückzug in hochgesicherte Verstecke die Auflösung zentraler Institutionen illustriert. In den Hochzeiten der Föderation wäre vor der Kulisse brennender Welten ein Altenteil am See undenkbar gewesen: Wer den aktiven Dienst verließ, der tat dies, um an die Akademie zu gehen und dort die nächste Generation die Utopie zu lehren.
Die Leitfiguren sind verschwunden
Es bleiben Söldner, Partisanen und Versehrte, die irgendwie am Leben bleiben wollen. Es gab solche Situationen schon früher, wenn der Föderation Korruption, Invasion und Werteverfall drohten. Aber nie war es so dramatisch wie heute – und dies umfasst das Heute der Picard-Serie ebenso wie das ihrer Zuschauerinnen und Zuschauer.
Nicht erst der Blick ins Fandom zeigt: Wir sind von diesen Entwicklungen enttäuscht, aus zig vorgeschobenen Gründen. Stewart blamiert sich mit pseudofranzösischem Akzent. Die Androiden sind schrulliger als selbst ihre schrulligsten Ahnen aus den 90er Jahren. Die Handlung (Friede, Freude, Entdeckung von Eierkuchenplaneten) kommt nicht in die Gänge. Es gibt keine Guten mehr zum Anhimmeln und keine Bösen zum Verdammen und wo man hinguckt, Geldmangel, fehlender politischer Wille, Probleme. Danke, Star Trek, davon hatten wir genug!
Wir sind enttäuscht, wir empfinden Unbehagen. Aber eigentlich, weil Star Trek Picard das macht, was Star Trek immer macht, was den Kult begründet hat und die Qualität des Franchise ausmacht: Es zeigt uns den Spiegel unserer eigenen Zeit und reflektiert unser Handeln. Enttäuscht sein dürften wir von einem Picard, der munter durch ein Regenbogenland fliegt und dabei adrette Neuzugänge für Crew und Völkerbund moderiert. Höchstes Unbehagen müssten wir empfinden, wenn uns Star-Trek-Serienstunden voller pittoresker Welten und häppchenweise knusperzarter Überraschungen zugemutet würden, die sich jeweils in 45 Minuten (zuzüglich 3x Margarinewerbung) in Wohlgefallen auflösen ließen.
Captain, es kommt nicht mehr direkt auf uns zu!
Doch wo führt es hin, wenn es in Star Trek nicht mehr um rasch besiegbare autokratische Gehirnschnecken geht? Was wir erwarten dürfen nach einem staffellangen Exposé, ist, dass Star Trek Picard weiterhin nicht dem Eskapismus frönen und seine Figuren Moos von pittoresken Planeten kratzen lassen wird. Sondern dass es Visionen entwirft, wie mit den Problemen umzugehen ist, die nicht nur die ferne Zukunft der Menschheit belasten. Ein Hauptgrund für unsere Liebe zu Star Trek war immer die Fähigkeit der Figurenensembles, Probleme als Herausforderungen zu betrachten und zu ihrer Lösung Wege zu beschreiten, die noch kein Mensch zu beschreiten wagte und die sie – gleich welcher Spezies sie angehörten – auf dem Pfad der Menschlichkeit hielt. Die Menschlichkeit zu erhalten in einem Szenario, das so komplex geworden ist, dass sich Konzepte von Identität, Territorium und gemeinsamer kultureller Narration kaum noch ausmachen lassen in der Dynamik des chaotischen Gesamtsystems.
Das muss Star Trek Picard einlösen, wenn es Kult bleiben und nicht nur vergangene Taten feiern will. Denen, die uns die Geschichte der Föderationsgesellschaft und ihrer Nachbarn weitererzählen, dürfte dies bewusst sein und wir dürfen daher auf eine spannende zweite Staffel hoffen. Auf neue Abenteuer, auf pittoreske Moosplaneten (voller unangenehm zeitgenössischer Probleme) und vor allem auf Visionen, wie zukünftig mit dem Straucheln der demokratischen Utopie umzugehen ist, will man den Pfad der Menschlichkeit nicht von dornigen Gewächsen überwuchern lassen.





