Hate Radio

Die Rol­le eines Medi­ums als Täter­platt­form und Anhei­zer des Völ­ker­mor­des in Ruanda.

»Die authen­ti­schen Künst­ler der Gegen­wart sind die, in deren Wer­ken das äußers­te Grau­en nach­zit­tert«, schrieb Ador­no einst – eine Posi­ti­on, die Vie­le 70 Jah­re nach dem Holo­caust für his­to­risch hal­ten mögen; doch sie ist eine der zen­tra­len phi­lo­so­phi­schen Aus­sa­gen des »Jahr­hun­derts der Geno­zi­de«, in dem jenes Grau­en der poli­tisch orga­ni­sier­ten Ver­nich­tung mensch­li­chen Lebens nach 1945 nicht been­det, son­dern regel­mä­ßig aktua­li­siert wor­den ist.

Kann aber ein Radio­mo­de­ra­tor den Tod von Men­schen ver­schul­den, eine klei­ne, pri­va­te Radio­sta­ti­on in einem klei­nen Land irgend­wo in Ost­afri­ka eine zen­tra­le Rol­le bei der Ermor­dung von fast einer Mil­li­on Men­schen spie­len? Seit 1994 wis­sen wir, dass es geht; der Ort: Ruan­da. Der Tat­ort: Eine klei­ne, jun­ge Radio­sta­ti­on im Her­zen Kiga­lis, Radio-Télé­vi­si­on Libre des Mil­le Col­li­nes (RTLM), seit 1993 auf Sen­dung. In dem klei­nen, ost­afri­ka­ni­schen Land, des­sen Bevöl­ke­rung zu gro­ßen Tei­len aus Analpha­be­ten bestand und in dem sich kaum jemand Fern­se­her leis­ten konn­te, kam dem Radio die Rol­le des Leit­me­di­ums zu. RTLM traf mit sei­ner unkon­ven­tio­nel­len Art den Nerv der Zeit. Dabei waren ein gemischt west­li­ches wie afri­ka­ni­sches Musik­pro­gramm und eine lan­des­un­ty­pisch sehr locke­re Spra­che von Sen­de­start an mit poli­ti­scher Hass­pro­pa­gan­da gegen die Tut­si-Min­der­heit kom­bi­niert wor­den – eine Vor­ge­hens­wei­se, die aus der Rück­schau wie eine Wer­be­kam­pa­gne zur Vor­be­rei­tung des Völ­ker­mords anmu­tet. In den Mona­ten vor dem Beginn des hun­dert­tä­gi­gen Mor­dens am 6. April bereits eng mit der »Hutu-Power«-Bewegung und den extre­mis­ti­schen Kräf­ten inner­halb der Hutu-Regie­rung ver­strickt, sen­de­te RTLM den lan­des­wei­ten Start­schuss für das Mor­den (»fällt die hohen Bäu­me«), schür­te den Hass, las Todes­lis­ten vor, auf denen nicht nur Tut­si, son­dern auch gemä­ßig­te Hutu stan­den, sta­chel­te die Mör­der an und wies ihnen den Weg zu wei­te­ren Opfern.

Bis heu­te gilt der Geno­zid in Ruan­da als her­aus­ra­gen­des Bei­spiel dafür, wel­che wich­ti­ge Rol­le moder­ne Medi­en bei der Ent­fes­se­lung und Kon­trol­le kol­lek­ti­ver Gewalt spie­len; in sei­nem gleich­na­mi­gen Thea­ter­stück zeigt der Schwei­zer Thea­ter­re­gis­seur Milo Rau, ein­ge­rahmt von Zeu­gen­aus­sa­gen, eine typi­sche Sen­de­stun­de, wie sie das »Hate Radio« RTLM wäh­rend des Mor­dens aus­ge­strahlt haben könn­te. Zum 2011 urauf­ge­führ­ten Stück ist – pünkt­lich zum 20-jäh­ri­gen Gedenk­tag des Geno­zids – Anfang 2014 im Ver­bre­cher-Ver­lag ein Begleit­band mit Inter­views, Doku­men­ten und Begleit­in­for­ma­tio­nen erschie­nen, der Ein­bli­cke in den Hin­ter­grund des Thea­ter­stücks lie­fert. Neben Aus­zü­gen aus den Inter­views, die Rau im Lau­fe sei­ner Recher­che­ar­beit mit Zeit­zeu­gen und Tätern wie der RTLM-Mode­ra­to­rin Valé­rie Beme­ri­ki führ­te, und aus Ver­neh­mungs­pro­to­kol­len der Gerichts­ver­fah­ren gegen die Hass­me­di­en Ruan­das, las­sen sich auch Unter­su­chun­gen über die Spra­che des Geno­zi­des in Ruan­da fin­den, in der das Mor­den als »Arbeit«, die Mord­in­stru­men­te als »Werk­zeug« und die Opfer als »Inyen­zi«, »Kaker­la­ken« bezeich­net wur­den. In einem Auf­satz ver­deut­licht der renom­mier­te Geno­zid­for­scher Frank Chalk die Rol­le der Medi­en, die sich aus den Erfah­run­gen mit RTLM und ande­ren Hass­me­di­en Ruan­das ergibt. Moder­ne Medi­en, so Chalk, spiel­ten eine zen­tra­le Rol­le für die Ver­brei­tung von Has­sideo­lo­gien und wür­den durch die Täter genutzt, um die Angst der eige­nen Ziel­grup­pe vor einer Bedro­hung durch die zukünf­ti­gen Opfer zu schü­ren. Gleich­zei­tig böten sie aber auch die Chan­ce, Infor­ma­tio­nen zu ver­brei­ten, die einen Aus­bruch von Gewalt ver­hin­der­ten. Die Erfah­rung aus Ruan­da müs­se, so Chalk, eine kon­se­quen­te Aus­schal­tung von »Hate-Media«, eine Gegen­kam­pa­gne mit objek­ti­ven Infor­ma­tio­nen und eine ent­schie­de­ne Straf­ver­fol­gung von Tätern nach sich ziehen.

Der gleich­na­mi­ge Band zu Milo Raus Thea­ter­stück Hate-Radio, der auch ein deut­sches Tran­skript des Stü­ckes ent­hält, ist eine sinn­vol­le Ergän­zung, da er ver­tieft, was bereits auf der Büh­ne erreicht wird: Die Bedeu­tung von Hass­pro­pa­gan­da und die gesell­schaft­li­che Dimen­si­on der Ent­fes­se­lung von kol­lek­ti­ver Gewalt zu ver­an­schau­li­chen, die nicht allein ein Phä­no­men moder­ner Ideo­lo­gien ist, son­dern ein mit der Moder­ne an sich ein­her­ge­hen­des, das sich aus vie­len, teil­wei­se wider­sprüch­li­chen gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen speist. Dies ist eine wich­ti­ge Erkennt­nis, sie macht deut­lich, dass jeder Völ­ker­mord, ob an Juden, Arme­ni­ern, Tut­si oder den vie­len ande­ren Opfern, zwar an sich ein­zig­ar­tig ist, kei­ner von ihnen jedoch einen Bruch mit der Ent­wick­lung der moder­nen »Zivi­li­sa­ti­on« bedeu­tet, son­dern mit ihr ein­her­geht: »Ich glau­be nicht an das Ende der Geno­zi­de. Ich glau­be nicht, dass wir zum letz­ten Mal die­se schlimms­te aller Grau­sam­kei­ten erlebt haben. Wenn es einen Geno­zid gege­ben hat, dann wird es noch vie­le geben.«

Chris­ti­an Wobig 

Milo Rau: Hate Radio. Ver­bre­cher Ver­lag, 2014, 18,00 €.


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