Vom Adel der einfachen Herzen

Jut­ta Per­son erzählt mit Sach­ver­stand und Witz vom Esels­trei­ben durch die euro­päi­sche Lite­ra­tur und Geis­tes­ge­schich­te. “Lei­der wis­sen wir nicht, was Schle­gel, Nova­lis oder Tieck über den Esel gedacht haben. Er hät­te aber ein wun­der­ba­res Wap­pen­tier abge­ge­ben für alle, die den Schweins­ga­lopp des immer effi­zi­en­ten Han­delns zu unter­lau­fen ver­su­chen. Durch Stehenbleiben.”
Wenn wir über Esel spre­chen, kön­nen wir über uns selbst spre­chen. Über “moder­ne Ste­hen­blei­ber”, Zau­de­rer und Indo­len­te, die anthro­po­lo­gi­schen Irr- und Umwe­ge erhoff­ter Wis­sens­bil­dung durch die Phy­sio­gno­mik. Über ein Nutz­tier, das öko­no­misch an Bedeu­tung ver­liert und doch in vie­len Tei­len der Welt unver­zicht­ba­rer Beglei­ter des Men­schen bleibt. Jut­ta Per­son geht in Esel – ein Por­trait den Spu­ren nach, die der Esel in der euro­päi­schen Lite­ra­tur hin­ter­las­sen hat. Sie sich­tet früh­neu­zeit­li­che natur­kund­li­che Beschrei­bun­gen, die immer auch das Esels­bild aus der Anti­ke aktua­li­sie­ren, lite­ra­ri­sche Tex­te und besucht in Süd­deutsch­land einen Esel­züch­ter und sei­ne Her­den. Es ist bemer­kens­wert, dass es Esel sind, deren Weg durch unse­re Lite­ra­tur sich die Ber­li­ner Phi­lo­so­phin, Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin und Lite­ra­tur­kri­ti­ke­rin ein­mal genau­er ansieht. In ihrem Essay, der zu einer Rei­he von “Natur­kun­den” gehört, trägt Per­son unter­halt­sa­me und denk­wür­di­ge Fund­stel­len zusam­men. Und die haben es in sich: Da ahnt hun­dert Jah­re vor Dar­win ein Ver­gleich zwi­schen Pferd und Esel die Evo­lu­ti­ons­theo­rie vor­aus. Das “ver­bo­te­ne Esel-Pferd-Gedan­ken­spiel” schafft Frei­raum, auch über Mensch und Affen nach­zu­den­ken – natür­lich, ohne die Zen­sur zu ver­är­gern, alles bleibt fik­tiv. Und doch trot­tet der Esel, dem Pferd selt­sam ähn­lich, allem statt­haf­ten Den­ken durch’s sorg­fäl­tig ange­leg­te Beet… Wäh­rend sich heu­te gera­de­zu pani­sche Abgren­zungs­be­mü­hen gegen den jeweils Ande­ren durch unse­re Gesell­schaft zie­hen, wird die Erin­ne­rung an einen unse­rer ältes­ten Kul­tur­be­glei­ter zum wert­vol­len Doku­ment. Per­sons Essay zeigt uns am Bei­spiel des Esels, wie Distink­ti­on unse­re Geis­tes­ge­schich­te prägt, und wie sehr selbst ein Tier mit der Inter­pre­ta­ti­on sei­ner ech­ten und ver­meint­li­chen Eigen­schaf­ten in Wis­sen­schaft und Lite­ra­tur als Pro­jek­ti­ons­flä­che die­nen kann. Wo preis­ge­krön­te Schrift­stel­le­rin­nen mit medi­zi­ni­scher Unter­stüt­zung gezeug­te Kin­der unge­niert als “Halb­we­sen” bezeich­nen, denen der Adel einer geseg­ne­ten Zeu­gung und Geburt abge­he, erin­nert Per­son dar­an, dass der Jesus der Evan­ge­li­en auf einem Esel in Jeru­sa­lem ein­zog und damit auf das edle­re Pferd ver­zich­te­te. Dabei ist der mit 144 Sei­ten kur­ze, mit etli­chen Abbil­dun­gen ver­se­he­ne Text bei­lei­be nicht mora­lin­sauer oder tro­cken, son­dern aus­ge­spro­chen unter­halt­sam. So sehen wir unter ande­rem Schil­ler, der in läs­si­ger Hip­ster­po­se auf einem Esel rei­tet, kurio­se Halb­we­sen (ja, auch die!) und erfah­ren die Namen der Misch­lin­ge zwi­schen Eseln, Pfer­den und Zebras. Und was haben eigent­lich der anti­ke Autor Apu­lei­us, Shake­speare und Nick Cave gemein­sam? Rich­tig, sie las­sen auf die ein oder ande­re Wei­se Esel durch ihre Bücher tra­ben. Der Esel, Kind unsi­che­ren Ter­rains und fel­si­ger Gebirgs­land­schaf­ten, flieht nicht, wenn er in Gefahr ist. Instink­tiv weiß er, dass rasen­de Flucht ihm die Bei­ne brä­che, also bleibt er ste­hen und lässt die Din­ge an sich her­an­kom­men. Weh­ren kann er sich immer noch, wenn es brenz­lig wird, und viel­leicht naht ja auch ein Freund mit ein paar Möh­ren in der Tasche. Denn: “Etwas bes­se­res als den Tod fin­den wir alle­mal”. Das stellt der Esel der Bre­mer Stadt­mu­si­kan­ten fest, was Per­son aus­ge­spro­chen modern fin­det. Das Ste­hen­blei­ben ist in der Tat modern in einer Welt, in der das Flucht­mo­dell des Pfer­des nicht in die Frei­heit, son­dern auch nur anders­wo ins glo­ba­li­sier­te Über­all füh­ren muss. Jut­ta Per­sons humor­vol­ler Essay im stan­des­ge­mäß grau­en Flau­schein­band ist ein klei­nes Schmuck­stück. Er unter­hält intel­li­gent, gibt dabei Anrei­ze, sich man­che der vor­ge­stell­ten Tex­te ein­mal sel­ber vor­zu­neh­men und er regt an, über ein Modell des sanf­ten Wider­stan­des nach­zu­den­ken. Das andern­orts in die Kata­stro­phe füh­ren­de, beim Esel durch gute Behand­lung vor­über­ge­hen­de “I pre­fer not to” ist nicht nur Ärger­nis für sei­nen Trei­ber, es ist womög­lich auch ein Ange­bot. Denn nicht nur für Meis­ter Lang­ohr gilt: “Was aber auf­fällt, ist die Erklä­rungs­not, die der tie­risch Duld­sa­me quer durch die Jahr­hun­der­te bei sei­nen mensch­li­chen Her­ren pro­vo­ziert. Je gleich­mü­ti­ger der Pas­si­ve die Schlä­ge ein­steckt, des­to frag­wür­di­ger scheint dem Akti­ven die eige­ne Akti­vi­tät zu wer­den.” Wer eine Anlei­tung zum Umgang mit sei­nem Haus­tier sucht, wird in Per­sons Esels-Buch nicht fün­dig. Wer sich aber eine Wei­le zu anre­gen­der und geist­rei­cher Lek­tü­re zurück­zie­hen, ist mit die­sem lite­ra­ri­schen Tier­por­trait aus­ge­zeich­net beraten.

Brit­ta Peters

Jut­ta Per­son: Esel. Ein Por­trait. Matthes & Seitz, 2013, 18 €.


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Eine Anmerkung

  1. rich­tig gol­dig. ich mag auch esel und wer­de auch oft von urerl­bu­an gefragt, wo es noch esel gibt. auch auf hoch­zei­ten die deut­sche hier sich orga­ni­sie­ren las­sen wird oft ein esel gewuenscht. nur lei­der ist auch hier einen esel zu sehen zur sel­ten­heit gewor­den. nur ein­mal wirk­lich wie ein weih­nachts­maer­chen hoer ich ein paar tage vor hl abend:ihhh ahhhh..ich dach­te ich spin­ne, denn schau ich aus dem fens­ter steht da immer ne schafherde.aber am naechs­ten mor­gen , tat­saech­lich der schae­fer hat auch eine esel mit­ge­bracht …lei­der nur fuer einen tag.…..war wie ein klei­nes wunder…schoenen sams­tag­abend ..tan­ja

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