Der ganz normale Wahnsinn:
Monika Reitprecht präsentiert in ihrem frisch erschienenen Insider-Buch humorvoll die besten Fundstücke und Anekdoten aus dem Alltag der Büchereien Wien.
Wer viel liest, sei es als Studierender, Wissenschaftler, oder schlicht aus Liebe zur Literatur, wird sich in Bibliotheken und Büchereien zu Hause fühlen. Kaum einen Gedanken aber verschwendet man auf jene Menschen, die alles in der rechten Ordnung halten, Bücher an uns ausgeben, mit Rat und Tat zur Verfügung stehen und überhaupt den Betrieb einer Bibliothek erst möglich machen; oft nehmen wir sie nur in ihrer Funktion wahr, ohne über ihre Arbeitswelt nachzudenken, was angesichts des noch immer verbreiteten Stereotyps von den strengen Bibliothekshütern, die vor allem auf Stille in den Räumlichkeiten ihres Wirkens bedacht sind, auch nahe liegt: was sollte da schon Spannendes geschehen?
Daran, dass weder das Stereotyp von der strengen Bücherhüterin, noch das Klischee von der langweiligen Arbeitswelt Bibliothek zutreffen, erinnert Monika Reitprecht, Bibliothekarin bei den Stadtbüchereien Wien, in ihrem kürzlich erschienenen Buch Wo stehen hier die E‑Books?:
Sortiert in neun Rubriken finden sich schlagfertige Antworten auf die drängenden, jedoch nicht immer ganz sinnvollen Fragen der Kunden: (“Wissen sie eigentlich, wer ich bin? – Leider nein, aber wenn Sie mir Ihre Kartennummer sagen, schau ich gleich nach.”), Einblicke in den manchmal grassierenden Alltagswahnsinn einer Bibliothek (“Der U‑Bahnlift zur Hauptbücherei ist defekt. Wir werfen Euch aber gern ein paar Step-Aerobic-Bücher runter.”) und philosophische Gedanken über die Literatur im Allgemeinen (“Habe in einem Interview gelesen, dass T.C. Boyle einen Rock trug, als er Die Frauen schrieb. Was wohl Herman Melville anhatte, als er Moby Dick schrieb?”), die einen kurzweiligen und lebendigen Einblick in die Bibliothekswelt bieten.
Neben der Rubrik über 50 Shades of Grey und andere nervige Schmonzettenromane (“Mein Hund hat ein Stück von ihrem Nora-Roberts-Buch gefressen – Das ist ja schrecklich – Wie geht’s dem armen Tier?”) ist die Auswahl der Fundstücke nach der Rückgabe definitiv der beste Teil des Buches. Es ist erstaunlich und unterhaltsam, was an bizarren Notizen, Gegenständen wie einer nicht ganz geleerten Verpackung einer Anti-Baby-Pille (“Wer immer diese im Buch vergessene Packung erkennt, kann beim nächsten Besuch schon mal das Regal mit den Titeln zur Geburtsvorbereitung ansteuern.”), Kondomen oder anderem in Büchern zurückgelassen oder vergessen wird.
Wie auch der Social-Media-Auftritt, den die Büchereien Wien bereits seit 2009 sehr erfolgreich betreiben und dessen beste Tweets und Facebook-Posts das Buch zusammenfasst, spiegelt Wo stehen hier die E‑Books? kompetent und humorvoll das Leben und Leiden mit und durch Literatur wider. Das Buch zeigt, dass eine Bibliothek mehr ist als ein Lager für Bücher, Bibliothekare mehr als graue Lageristen, sondern dass sie bücher- und (allem zum Trotz) menschenliebende Leute mit Begeisterung für die Literatur sind und ihre Arbeitsstätten Orte des Lebens und Wissens.
Christian Wobig
Monika Reitprecht: Wo stehen hier die E‑Books? Milena, 2015. 17, 90 €.
PS: Sind Sie in gebrauchten oder Leihbüchern auch schon mal auf amüsante Fundstücke gestoßen? Wir freuen uns über entsprechende Kommentare!
In einem öffentlich verschenkten Nachlass habe ich mal eine Karte gefunden, die ich rührend fand. Sie lag in einem Roman mit recht romantischen Stellen als Lesezeichen. Anbei also der Gruß einer tapferen alten Dame, die seinerzeit hoffentlich nicht ins Altersheim gegangen ist, sondern noch ein bisschen auf den Putz gehauen hat: https://twitter.com/textcontainer/status/598575240743116800