Was lange währt – mit Star Trek geht es weiter
Trekkies sind integer, geduldig und fair, so will es die humanistische Utopie vom Menschen, die Gene Roddenberry in den 1960er Jahren als Unterhaltungsformat entwarf und die uns diverse Ableger der Science-Fiction-Kultserie “Raumschiff Enterprise” seitdem erzählen.
Zuletzt floppte ab 2005 mit Enterprise der Versuch, ein rechtskonservatives US-Publikum mit Weltraumgeschichten aus dem Star-Trek-Universum zu begeistern, dann schuf J.J. Abrams mit seinen rasanten Kinofilmen um eine fast originale Kirk-Crew eine neue Zeitlinie, in der kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Seitdem fürchten und erhoffen Fans des Franchises, was da kommen möge.
DSC steht für Star Trek Discovery
Es kam: Star Trek Discovery. Seit September 2017 strahlt CBS wöchentlich Folgen der neuen Star-Trek-Serie als Bezahlformat aus, 24 Stunden zeitversetzt folgt die deutsch synchronisierte Fassung bei Netflix. Acht Folgen wurden bisher gesendet, rund die Hälfte der 15 Folgen umfassenden ersten Staffel. Die Reaktionen sind gemischt, das verlangt nach Klärung. Es folgt daher an dieser Stelle ein erster Eindruck von trek-versierter Seite und mit ihm – dies zur Warnung für Spätberufene, die sich noch überraschen lassen wollen – jede Menge Spoiler.
Ein Theme, sie zu binden
(KÄPT’N, DIE SPOILER, SIE KOMMEN DIREKT AUF UNS ZU!)
Jeder echte Star-Trek-Fan ist unabhängig von Talent und Musikalität in der Lage, nacheinander alle Titelmelodien der einzelnen StarTrek-Serien rhythmisch vorzutragen. Eine Ausnahme bildet auch hier die Flopserie von 2005, deren verfemtes Rockgitarren-Intro rasch zum Nebenshitstorm führte. Denn Star Trek, das heißt Sphärenklänge, Tröten und Trompeten. Diese Lektion haben die Verantwortlichen gelernt: Schon das ausgesprochen gelungene Intro von Star Trek Discovery beruhigt die bangen Fan-Nerven. Es lehnt sich gleich mit den ersten Takten an die ikonische Titelmusik der Originalserie an, beginnt mit einem getragenen Thema und – dem Himmel sei Dank – der obligatorischen Posaune. Dann folgt trickreich ein Cellomotiv, das mit Sicherheit nicht zufällig an die Geldscheffelmaschine Game of Thrones erinnert, eine längere Passage, die zu einer Arte-Tiefseedoku genauso passen würde wie zum Pausenprogramm der Feierlichkeiten zur Föderationsgründung. Während dieser andertalb Minuten, die ostentativ das Main-Theme der Originalserie beschließt, verkauft uns DSC ein neues ästhetisches Programm. Rot, Gold, Chrom, skizzierte Schiffspläne auf Pergament, marsähnliche Planetenoberflächen (vulkanrote Wüsten, die uns versprechen, dass die Zeitlinie gilt, in der unsere Lieblingsnachbarn nicht vernichtet wurden). Über all dem der Mensch, ein winziges Föderationsraumschiff kreuzt den Blick eines gigantischen menschlichen Auges, wir sehen zuerst das Portrait einer Frau, dann die Klassiker des Star-Trek-Designs, Phaser, Kommunikator, den vulkanischen Gruß. Ein Bat’leth, das martialische Zweihandschwert der Klingonen, verspricht Konflikt und Klassik, die Flugspur der winzigen Discovery neue Abenteuer im Deep Space. Löst die Serie das ein?
Glanz und Elend in der Zukunft
Die erste Folge von Star Trek Discovery wird ein Klassiker werden. Sie besteht gleich in den ersten Minuten den Bechdel-Test, zeigt uns ein Gespann aus Mentorin und Schülerin, zwei mustergültige Sternenflotten-Offizierinnen, die sich auf einer humanitären Mission diszipliniert und klug behaupten. Wir erfahren, dass Micheal Burnham, die Protagonistin der Serie, als menschliches Kind auf Vulkan erzogen wurde – von niemand geringerem als Botschafter Sarek, dem Vater von Spock. Die nächste Mission der USS Shenzou ist die Untersuchung beschädigter Föderations-Infrastruktur im tiefen Raum, Routine, so will es scheinen. Doch dann geht alles schief. Burnham trifft auf ihrer Außenmission auf einen Klingonen, bringt ihn versehentlich um, tote Klingonen führen bekanntlich zu mehr Klingonen, mehr Klingonen führen zu Ärger.
Und Ärger gibt es in Folge satt. Die klingonischen Krieger sind in diesem Jahrhundert wilder denn je und vor allem haben sie von der Föderation ein eindeutiges Bild: Der Gruß der Vulkanier, das Föderationsmotto “Wir kommen in Frieden”, erwies sich für die Klingonen als glatte Lüge. Streng logisch nämlich haben die Vulkanier in der Vergangenheit beschlossen, dass, da Treffen mit klingonischen Raumschiffen stets in Schießereien enden, es doch sinnvoller sei, in jedem Fall zuerst zu schießen. Es gibt also Ärger.
Burnham ist die einzige Offizierin an Bord, die das sofort weiß. Sie teilt die vulkanische Erfahrung mit den Klingonen, und mehr: Sie hat ihre menschlichen Eltern in einem Gefecht verloren, ist dadurch nachhaltig traumatisiert. Als es zur Konfrontation mit einer Flotte klingonischer Schiffe kommt – für sie ein Zeichen, dass das zerstrittene, von Familienclans geprägte Reich, sich zu einem großen Machtkomplex vereinen will – dreht Burnham durch. Mit Waffengewalt will sie ein Gefecht erzwingen, nachdem ihr Captain klargestellt hat, dass die Föderation unter keinen Umständen initiativ auf fremde Schiffe feuern wird. Sie meutert und wird arrestiert.
Es folgt eine Raumschlacht. Der Captain stirbt, ein ebenso mustergültiger Föderationsadmiral stirbt, das Schiff havariert, die Föderation hat einen Krieg mit dem klingonischen Reich am Hals. Unsere hoffnungsvolle Protagonistin geht nach kurzem Prozess lebenslang in den Bau. Die Space Opera von feinen Menschen und ihren einstündigen Abenteuern geht furios den Bach runter.
Ist das noch Star Trek?
Nach dem Schock der ersten Folge darf man sich das fragen. Und nach den Schocks der nächsten auch. Burnham wird vom Knasttransporter weg shanghait – der Captain der USS Discovery bietet der zu lebenslänglicher Haft und Zwangsarbeit Verurteilten einen Brückenjob an, ein völlig irregulärer Vorgang. Diverse Besatzungsmitglieder der Discovery stammen von der havarierten Shenzhou, und so ziemlich jeder Sternenflottenangehörige hasst die Meuterin Burnham, die allgemein als verantwortlich für den Krieg mit den Klingonen gilt. (Ein Missverständnis, das die Vulkanier – logisch – nicht ausräumen.) Bald stellt sich heraus, dass das Forschungsschiff Discovery mit einem neuartigen Antrieb experimentiert, und zwar bar jeder Ethik. In den letzten Folgen verfestigt sich die Situation, die Discovery mutiert zum Kriegschiff und zur Hauptwaffe der Föderation, die Besatzungsmitglieder verstehen sich als Soldaten. Ist das Star Trek, die große Sozialutopie vom friedlichen ganzen Menschen? Kann man Star Trek Discovery überhaupt ohne Bauchschmerzen sehen? Doch der Reihe nach.
Kritikpunkt: Die Meuterei und ihre Folgen
Burnham ist eine vielschichtig angelegte Figur. Ziehschwester von Spock, Pilotprojekt des mensch-vulkanischen Kulturaustauschs, von Rassismus betroffen, von Ressentiments geprägt. Und zwar durch eigene, wie auch durch an sie herangetragene Vorurteile. So wird die Außenseiterrolle nicht zur unbewältigbaren Bürde – Michael Burnhams Haut ist dick genug, ihre unsichere soziale Rolle zu ertragen.
Im Ablauf der Zeitlinie ist sie die Nummer Eins der Geschichte der Sternenflotten-Meuterei, doch so ziemlich jeder liebgewonnener Star-Trek-Protagonist hat dunkle Momente in seiner Karriere. Da ist Picards Widerständigkeit (ganz zu schweigen von seiner kurzen Karriere als Borg), Rikers Beteiligung an illegalen Föderationsexperimenten mit Tarnvorrichtungen, Worfs Stirnglatze gewordener Dauertrotz samt einseitiger Kündigung, Major Kira als Gesamtkunstwerk der Insubordination, Siskos Komplott mit Garak zum Zwecke der Kriegstreiberei – sie haben alle Dreck am Kommunikator und ihn mindestens einmal irgendwo “vergessen”, um Befehle nicht zu hören. Nur Burnham wandert dafür lebenslang in Haft bei Zwangsarbeit in ominösen Minen. Das kannte man bisher nur von den Cardassianern. Burnhams Strafe empfinden viele Zuschauer zu Recht als zu brutal für die hoch zivilisierte Föderation der Planeten.
Allerdings speist sich dieser Haupteindruck aus den Serien der 1990er Jahre, die rund 100 Jahre nach den Ereignissen von Star Trek Discovery spielen. Viel Zeit, in denen sich föderales Strafsystem und das Verständnis vom Angehörigen der Sternenflotte, seinen Rechten und Pflichten, massiv verändert haben. Echte Terroristen wie Thomas Riker (ja, Williams Transporterunfall-Bruder) oder Tom Paris sitzen in der Zukunft Haftstrafen ab und werden nach Kräften rehabilitiert. Tom Paris darf sogar als narratives Vorbild für Burnham gelten, denn auch ihm wird in der Pilotfolge von Star Trek Voyager ein Brückenjob vom Captain angeboten – sein Talent soll nicht verkommen, man braucht seine Ortskenntnis und Flugkünste für eine Antiterrormission. Der Figur des Tom Paris hat der Karrierestart als Underdog gutgetan und ihn als Charakter viel farbiger gemacht, als das den Drehbuchautoren zum Beispiel bei einem Musterkadetten wie Harry Kim gelang.
Der tiefe Fall der Meisterschülerin und ihre Rückkehr in höchst moderne prekäre Arbeitsverhältnisse ist ein Kunstgriff, von dem die Serie jetzt schon profitiert. Denn die Star-Trek-Brückensoap lebt von der emotionalen Anbindung der Zuschauer an die Figuren, und Michael Burnham hat nach wenigen ausgetrahlten Episoden schon mehr Substanz als mancher andere Seriencast nach der ganzen ersten Staffel. Und mehr noch, das Phänomen strahlt auf die andern Figuren ab. Die für Star Trek ungewohnte Perspektive einer exzentrischen Protagonistin ermöglicht es, insgesamt natürlichere Charaktere zu entwickeln. Jedes Individuum muss sich zum Underdog positionieren und gerät dadurch in einen Konflikt. So ertappt die Kamera geradezu jedes andere Mitglied des Casts bei natürlichen, oft wenig glanzvollen Verhaltensweisen. Dazu weiter unten noch einige Worte. Erst einmal zu den Klingonen. —
Kritikpunkt: Die Klingonen sind potthässlich
Ja. Das sind sie. Und verdammt noch mal, das waren sie doch immer! Die Varianz im Aussehen der Klingonen ist sprichwörtlich (“Wir reden nicht drüber”). Sie ist ein Lehrstück der Evolution der Film-Maskenbildnerkunst und jede Star-Trek-Seriengeneration präsentierte die Kriegerspezies in neuem, technisch anspruchsvollerem Gewand. Die Masken der aktuellen Klingonendarsteller dürften die Krönung des Aufwands sein, der um die Quadratschädel des Alphaquadranten bisher betrieben wurde, selbst die Kelvin-Zeitlinie der Abrams-Filme hat nichts Hässl… Schickeres zu bieten. In der Vergangenheit wurde der Kostümwechsel der Klingonen sogar Teil der Handlung und stieß einige sehr vergnügliche Serienfolgen an. In denen erfuhren die Zuschauer, dass missglückte Experimente zur genetischen Erzeugung des Über-Klingonen zu aufgeweichten Schädelkämmen und menschenzarter Physiognomie geführt haben. Überflüssig, daran zu erinnern, wie peinlich das den Klingonen war. Orthodox korrekte TOS-Langweilerschminke in den jüngeren Serien hätte uns um diesen Spaß gebracht.
Und so gewöhnungsbedürftig das neue, noch zahnlastigere Erscheinungsbild der Klingonen ist (mit Sicherheit auch für die Darsteller, die ihre Arbeitskleidung mit gutem Recht spuckend verfluchen dürfen), es ist doch ausgesprochen prächtig. Raumschiffe, deren Außenhüllen mit den Körpern toter Krieger dekoriert sind, ein Albino-Klingone, dessen Verzweiflung über einen Mangel an Aufstiegsschancen glaubwürdig an all dem Latex vorbeigelangt. Eine ebenso ehrgeizige Klingonin, die es schafft, selbst mit einer riesigen Narbe im Gesicht – festhalten jetzt – schön zu sein. Dazu braucht es nicht mal den für Bösewicht Kol getragenen Kopfschmuck, auch so ein Detail, das den Kanon klingonischer Modesünden würdig ergänzt. Wer L’Rells Physiognomie für beispiellos hält, sei an dieser Stelle auf Star Trek Next Generation verwiesen. In der legendären Folge von Rikers Austausch-Praktikum auf einem klingonischen Schiff gibt es eine erste gemeinsame Mahlzeit mit dessen Crew. Die junge Klingonin, die den ersten Offizier der Enterprise wild schmachtend von der Seite ansieht, sieht ihrer Prequel-Ahnin erstaunlich ähnlich.
Überhaupt sind das Schicksal des albinotischen Klingonen Voq und seiner Gefährtin L’Rell als Handlungsstrang zur Zeit fast interessanter als die Karriere manches Föderationsangehörigen. Die beiden Figuren bekommen viel Screentime für ihre Charakterisierung, werden dabei plastisch wie sonst vor allem die Starfleet-Protagonisten. Was in den letzten Folgen aus dem merkwürdigerweise abgetauchten Albino geworden ist (stattdessen zeigt man uns ständig die Security-Neuerwerbung Ash… werden die beiden wohl je zusammen in einem Raum zu sehen sein?), will man genauso erfahren, wie den Verlauf der emotionalen Annäherung des bisher, nun, süßesten Star-Trek-Discovery-Pärchens. (Jetzt darf protestiert werden, sind doch da auch Paul Stamets und der Doktor, Ash Tyler und Michael Burnham, weit abgeschlagen noch Lorca und Admiral Comwell.)
Sieht man sich die kanonisierte Zeitlinie an, sind da Klingonen der nächsten Generation, die mit den beiden durchaus verbunden sein können. Einen klingonischen “abtrünnigen Albino” gibt es in der Deep-Space-Nine-Folge Blood Oath, Handlungszeit 2370. Das ist 81 Jahre nach dem Schwur der drei aus TOS bekannten Klingonen Kang, Kor und Koloth, den von ihnen bekämpften Albino aus Rache zur Strecke zu bringen. Der Albino aus DS9 ist ein sehr alter Mann – da Klingonen aber weit über 100 Jahre alt werden können, wäre denkbar, dass es sich um den gealterten Voq handelt. Das hieße wohl nichts Gutes für die Liebe zwischen ihm und der Frau, die nach erfolgreichem Vexierspiel gerade die Mitgliedschaft des mächtigsten klingonischen Adelshauses erworben hat. Hoch spekulativ könnte man noch eins draufsetzen: L’Rell könnte die Mutter von Gorkon werden, jenem klingonischen Herrscher, der mit Kirk den Frieden von Khitomer schließen wollte. Gorkon wird vor dem Friedensschluss ermordet, doch seine Tochter wird die berühmten Verträge von Khitomer unterzeichnen. Ein Brückenschlag zur Föderation, den vielleicht L’Rell begründet hat, als sie, von Kindheit an zwischen den Stühlen verfeindeter Herkunftshäuser, in der Einigung jener Häuser unter dem Glauben an die Wirkmacht des Khaless einen neuen Weg für die Gemeinschaft der Klingonen gesehen hatte.
Fremdartig sehen die neuen Klingonen aus, fremdartig klingt ihre erstmals in einer Star-Trek-Serie durchgehend gesprochene und für die Zuschauer untertitelte Sprache. Aber wenn sie interagieren, wirken die Klingonen plötzlich so vertraut, als käme Mr. Worf gleich um die Ecke. Sie intrigieren, kleiden und verkleiden sich mit Inbrunst, sie dominieren, gieren nach Statussymbolen, Ruhm und von beque… brettharten Chefsesseln aus geführten Debatten. Und gleichzeitig sind sie zum ersten Mal keine domestizierten Ehren-Zwangsneurotiker, sondern wirklich unberechenbare, brandgefährliche Aliens. Aliens, die sich verlieben, überleben wollen und die im nächsten Jahrhundert schon eine militärische Allianz mit den Menschen eingehen werden. Die Klingonen so neu kennenlernen zu können, ist wahrlich kein Grund zur Beschwerde. Und wer gar nicht genug kriegt vom Klingonischen, das immerhin eine echte Kunstsprache ist – Netflix bietet Hardcore-Fans den wertvollen Service klingonischer Untertitel an.
Und sonst? – Anzitiertes, Echoräume
Die Serie gibt sich mit den Verweisen auf Serien und Filme des Genres richtig Mühe. Schon in der ersten Folge macht sie kein Geheimnis daraus, mit Anspielungen und Zitaten an eine Reihe erfolgreicher Werke der Science Fiction anzuknüpfen. Dabei geht es oft genug um Star Trek, aber auch an andere Klassiker kann man sich erinnert fühlen.
Kostüme und Setting der ersten Szenen, wenn Burnham und ihr Captain durch eine epische Wüste stapfen, erinnern sicher nicht zufällig an die Einführung der Jedi Rey im aktuellen Ableger von Star Wars. Die chemisch erblauten Augen des labilen Captain Lorca, zumal in Verbindung mit dem überschnellen Antrieb aus blau glitzernden Sporen zitieren das Spice des Wüstenplaneten Dune. Stamets, der Wissenschaftler, der den Antrieb entwickelt hat und mit ihm nach einer Injektion des aus den Sporen extrahierten Genmaterials als Steuereinheit verbunden ist, braucht das Mantra “It is by pure will alone I set my mind in motion” der Dune-Navigatoren gar nicht zu murmeln, um es aufzurufen. Der Sporenantrieb selbst zitiert einen Klassiker aus dem Star-Trek-Universum an. In der Star-Trek-Voyager-Doppelfolge Equinox ermordet die Crew des gleichnamigen Schiffes intelligente Lebewesen, um mit einem selbstentwickelten Antrieb schneller zurück in den Heimatquadranten zu kommen. Die Crew der Equinox kommt bei diesem skrupellosen Verbrechen bis auf wenige Mitglieder um, denn die Spezies ihrer Opfer weiß zu verhindern, dass ihre Angehörigen weiter gefoltert werden. Besonders wütend sind die Wesen auf den Captain der Equinox. Captain Lorca wird sich anstrengen müssen, die Sympathielenkung der bisherigen Folgen zu kompensieren, wenn er auf dem Stuhl des Captains weiter Platz nehmen will. Von der Spezies der sporenessenden Riesenbärtierchen jedenfalls haben wir vielleicht nicht zum letzten Mal gehört.
Dann ist da Brückenoffizer Saru, hochgeschossen, feingliedrig und bleich, ein prototypisches Alien, zuletzt haben wir so etwas bei Dr. Who gesehen, nur gruseliger, als “The Silence”. An Begegnungen mit Mitgliedern der Spezies aus Dr. Who kann man sich nach einer Weile nicht mehr erinnern, das ist ihre Überlebensstrategie. Die Art, der Saru angehört, überlebte in ihrer evolutorischen Vergangenheit durch hochentwickelte Sinne zur Vermeidung von Räubern. Ein Echoraum zwischen den Serien, in dem zu ahnen ist, dass Saru Gefährlicheres auf dem Kasten hat, als nur nervös die Hörnchen auszufahren. Auf dem blauen Planeten der achten Folge bestätigt sich diese Annahme, wenn er unter dem Einfluss der indigenen Spezies die eigenen Crewmitglieder attackiert. Auf jenem blauen Planeten, um den nach dem Cliffhanger alle bangen, die Avatar gesehen haben. Doch vielleicht hat dieser planetare Locus amoenus mit seinen scheinbar unbedarften Bewohnern, die sich zwei Kriegsparteien in den Orbit einladen, es auf seine Weise in sich…
In sich dürfte es auch Ash Tyler haben, dessen Vorname dem des Androiden der Alien-Reihe entspricht. Aus einem klingonischen Folterknast rekrutiert, liegt sein Werdegang im Dunkeln, von einer von Lorca – so behauptet der es wenigstens – eingehend überprüften Dienstakte abgesehen. Ash macht der in Liebesdingen unsicheren Burnham Avancen, bietet ihr sogar an, gemeinsam durchzubrennen, statt die kriegswichtige Mission zu beenden. Vielleicht entpuppt sich der Sicherheitsoffizier wie seinerzeit Android Ash noch als etwas ganz anderes, als es für die Menschen, die sich auf ihn verlassen, den Anschein hat.
Alles gut? Echte Star-Trek-Momente
Ist also die Utopie in guten Händen, um die Eingangsfrage noch einmal aufzunehmen. Das neue Star-Trek-Kapitel, in dem alles sich so seltsam anfühlt? Mit den vielschichtigen Fremden, die den Zuschauern nicht typenhaft zur Identifikation anempfohlen werden, die mit ihnen noch nicht so richtig warm geworden sind? Mit der robusten Tilly, die ihre Karrierepläne ausplappert und auch mal von der Kollegin abrückt, wenn sie das eigene Fortkommen in Gefahr sieht. Dem nervösen Saru, der seine ehemalige Vorgesetzte schön fein ins Gefängnis gehen lässt, froh, talentierte Konkurrenz los zu sein. Einem offensichtlich völlig verkorksten Captain, wo doch die Kapitäne immer Mustermensch Nr. 1 der glanzvollen Zukunft der Menschheit zu sein hatten. Mit Individuen, die wir gerade erst kennenlernen, denen wir nicht trauen können, manchen jetzt nicht, anderen vielleicht nie. Mit Konflikten, die sich gar nicht lösen lassen, Burnhams inoffizieller Zweitkarriere als wissenschaftlicher Hilfsknacki, dem Diensteid-Liebesdilemma von Arzt und Steuermann, die sich und Sternenflotte so allerhand Problematisches verschweigen. Aber ja, denn so lebendig war der Star-Trek-Kanon noch nie, und das die Serienmacher verstanden haben, worum es geht, zeigen jetzt schon viele Szenen.
Da ist – nach etlichen Sendeminuten – der erste weiße Mann mit Text. Einer, der nichts kommandiert oder aus dem Feuer holt, sondern weint. Ein junger Crewman wird an dieser Stelle gezeigt, der fassungslos vor Burnhams Arrestzelle steht und klagt, das dürfe alles so nicht geschehen, man sei doch auf einem Forschungsschiff und Teil einer Allianz friedlicher Wesen. Dieser Mann ist kein Soldat, er ist ein Zivilist durch, sein Selbstverständnis ist die friedliche Erkundung des Alls. Das ist vorbildlich im Geiste Roddenberrys und es ist brillant geschrieben. Burnham, die Frau mit der Fähigkeit, auf eine existenzielle Bedrohung hin alles zu opfern, wird als Protagonistin seine Stelle einnehmen. Burnham-Darstellerin Sonequa Martin-Green kennt diesen Überlebenstypus – bis zu ihrer Verpflichtung als Michael Burnham hat sie bei The Walking Dead mit Sasha Williams eine ähnlich zähe Figur gespielt.
Zurück zum weißen Mann, der nächste ist sogar ein alter, ihn verliert Star Trek Discovery beim Kobayashi-Maru-Test in freier Wildbahn. Trekkies kennen diesen Test der Sternenflotten-Offiziersausbildung. Er kann nicht bestanden werden und endet erst, wenn man sich und seine Crew dem unausweichlichen Tod ergibt. Fort ist damit der Admiral, der sein havariertes Schiff mit Mann und Maus opfert, und auch seine Rolle nimmt eine Frau ein. Diese Rochaden sind diskreter als das Serienübergabe-Dienstgespräch zwischen Picard und Sisco, aber sie sind genau so programmatisch.
Ein weiterer großer Star-Trek-Moment ist die Aussprache zwischen Saru und Michael. Überfordert mit der Aufgabe, den Captain zu vertreten, hatte der sich schon an den Computer gewendet (der ihm ausgerechnet Jonathan Archer als leuchtendes Beispiel auf den Schirm brachte). In Burnhams Prozess vor dem Sternenflotten-Tribunal war Saru offensichtlich keine Hilfe, dabei hätte seine Fürsprache die lebenslange Haft vielleicht doch abgewendet. An Bord der Discovery geht er zunächst weiter auf Distanz, erklärt ihr, sie sei seiner Ansicht nach gefährlich. Doch dann löst Saru diese Distanz in ein Geständnis auf. Gefährlich sei sie ihm vor allem durch ihr übergroßes Talent gewesen. Er beichtet ihr, nun selbst auf der Position, die sie auf dem alten Schiff besetzt hatte, von seiner Missgunst und dem Gefühl, einer Besseren unterlegen zu sein. Das voranschreitende Bonding von Michael und Saru ist einer Star-Trek-Serie mehr als würdig und man darf gespannt sein, wie es zwischen den beiden weitergeht.
Es gibt noch reichlich mehr, die weiter auserzählte Familiengeschichte von Sarek, die neue Perspektive auf die Vulkanier, die gegen terroristische Logik-Extremisten antreten und uns Menschheit als outgesourctes “Bauchgefühl” tatsächlich viel mehr brauchen, als bisher klar geworden ist. Die erste komplett unwürdige Gestalt hat auch schon ihre Strafe erhalten: Die Sicherheitsoffizierin der Discovery, ein Flintenweib, dem nichts Besseres einfiel, als das vermeintlich klingonenkillende Raubtier zu vivisezieren, ohne dadurch wissenschaftliche Erkenntnis erlangen zu können. Das war kein starfleetwürdiges Verhalten und der Versuch, sich damit durchzusetzen, endete direkt fatal.
Was ist denn richtig schlecht?
Richtig schlecht für alle Zuschauer über 40 ist, dass Star Trek Discovery seine Story nicht nur auf dem neuesten Stand der Serien-Evolution erzählt, sondern die Handlung auch optisch mit sehr hohem Tempo vorantreibt. Jeder Bildwechsel kann einen Zeitsprung von Stunden oder Tagen beinhalten, wenig deutet als Überleitung auf einen neuen Akt hin. Wir werden bei Wiederholungen von DSC für Werbepausen im Free TV noch dankbar sein. Man muss genau aufpassen, was in den dynamischen Dialogen passiert, in den Gesichtern (auch auf den klingonischen), auf Taktiktischen und Bildschirmen, im Halbschatten hinter den Personen und in der Ambient-Tonspur. Ganz offensichtlich ist Star Trek Discovery für das mehrfache Ansehen gefilmt. Ob man die solide Synchro oder das Original wählt, die Datendichte ist auch ohne klingonische Untertitel einfach zu hoch, um bei einmaligem Ansehen alles mitzukriegen. Bingewatching ist in diesem Fall etwas für nüchterne Ausgeschlafene, die sich nicht vom klingelnden Pizzaboten ablenken lassen. Das kann man als Zumutung betrachten oder als Mühsal, aber eigentlich ist auch das ein Service für die Fans. Niemand, der sich wirklich Trekkie nennen darf, hat die bisherigen Serien nur ein einziges Mal komplett gesehen. So wird es auch bei Star Trek Discovery sein – nur dass diesmal, anders als 2005, wirklich neue Fans an Bord beamen. Und so muss es sein, denn ohne Generationswechsel kann es kein Star Trek geben.
Alle Star-Trek-Serien haben sich erst nach einigen Staffeln entfaltet. DSC hat das Potenzial, viel früher richtig aufzudrehen, und wenn man seine erste Staffelhälfte mit den ersten Staffeln der bisherigen Serien vergleicht, wirkt alles davor wie Satire in Schlafanzügen. (Gut, der Klamauk um Mudd ist auf Teilstrecken selbstironische Satire in Schlafanzügen, aber rasant vorgetragen für eine Zeitschleifen-Episode.)
Und bei allem, was nun neu und unbehaglich ist: Das Wichtigste hat sich nicht geändert. Niemand, wirklich niemand auf den Raumschiffen in Star Trek Discovery trägt einen Sicherheitsgurt. Und das, obwohl in Actionszenen alle bewährt herumzappeln, als ob Shuttles, Brücken oder Korridore im Smoothiemixer stecken. Welch eine beruhigende Konstante – das kennen wir, so soll es immer sein!
Nachschlag I – Steile These zum blauen Planeten
Die Ereignisse in der achten Folge (Si Vis Pacem, Para Bellum) könnten vorbereiten, den existenzbedrohenden Konflikt mit den Klingonen in eine kühlere Phase zu überführen. Denn der eigentliche Krieg beginnt erst wieder in Kirks Dienstjahren. Er dauert nur vier Tage, weil die übermächtige Spezies der Organier interveniert und endet 2293 mit dem Friedensvertrag von Khitomer. Energiewesen, die scheinbar ohne jede Verteidigung leben und munter Signale ins All senden, werden eigentlich auch im Star-Trek-Universum nicht alt. Als sie von Saru erfahren, wie Klingonen und Föderation sich zu vernichten drohen, bestellen sie einfach alle Parteien in ihren Orbit. Prognose: Sie müssen sich nicht fürchten. Vielmehr übernehmen sie die Rolle der Organier, rügen die Humanoiden und sammeln alle Kriegsspielzeuge ein. Das würde erklären, warum in der Föderation nie wieder von einem Sporenantrieb die Rede sein wird und warum die Klingonen wenige Jahrzehnte später Tarnvorrichtungen von den Romulanern kaufen müssen. Es ist noch ein langer Weg, bis Austauschoffizier Riker eines Tages frisches Gagh in sich hineinschaufeln kann.
Nachschlag II – Essen wie auf der Raumstation
Doch was macht ein Trekkie, wenn der Hunger ruft? Die Fotos für diesen Artikel wurden nicht auf einer Deep-Space-Station der Föderation, sondern in der Data Kitchen Berlin gemacht. In dieser Tech-Gastronomie bestellen die Gäste ihr Essen online und erhalten es zum Wunschzeitpunkt fertig angerichtet aus replikatorähnlichen Servierfächern. Das macht nicht nur Science-Fiction-Fans Spaß, die preislich im oberen mittleren Segment verortbaren Gerichte sind hübsch angerichtet und lecker. Für ihr experimentelles Konzept erhielt die Data Kitchen in diesem Jahr den Gastronomiepreis FIZZZ Award 2017. Übrigens auch auf der Karte: klassisch heißer Earl Grey. Näher kommt der geneigte Trekkie der Replikatorerfahrung zur Zeit kaum.






Schöne Zusammenfassung!
Ein weiterer Aspekt für die emotionale Bindung, sei es Ablehnung oder Zuneigung, zu den Klingonen, ist der *Klang* der in extenso benutzten klingonischen Sprache. Die gedrückten, kurzsilbigen, fast röchelnden Dialoge vermitteln zusammen mit dem neuen Aussehen eine echte, herausfordernde Fremdartigkeit. Mich persönlich nervt das Stakkato-Glucksen unfassbar, aber gerade das ist IMHO der Clou: Eine fremde Rasse auf allen Ebenen als fremd zu *erleben* – und doch Sternenflotte genug zu sein, um sie nicht wegen dieser Oberflächlichkeit per se abzulehnen.
Als Trekkie ohne Netflix habe ich deinen Artikel mit großer Neugier gelesen. DSC scheint mir eine zeitgemäße „Erneuerung“ des Star-Trek-Universums zu sein. Ob ich als Ü40-Patient 😉 das beschriebene Tempo vertrage, wird sich zeigen.