Mark Watney darf nicht sterben!

Oder: Wenn du zum Mars gehst, ver­giss die Kar­tof­fel nicht! Andy Weirs SF-Roman “Der Mar­sia­ner” schil­dert den fata­len Fehl­schlag einer NASA-Mis­si­on, die den Astro­nau­ten Mark Wat­ney zum Hel­den macht.

Es gibt Bücher, die muss man lie­ben – weil sie etwas an sich haben, das sie ein­zig­ar­tig macht, weil ihre Prot­ago­nis­ten Schätz­chen sind oder weil sie ein The­ma behan­deln, für das man brennt. Spät­be­ru­fen habe ich ein Buch gele­sen, das für mich alle drei Kri­te­ri­en erfüllt. Emp­foh­len haben es wohl­weis­lich nicht die Bücher­men­schen, son­dern jene, die trotz Bil­dungs­stand und Kauf­kraft gern etwas abschät­zig “Nerds” genannt wer­den. Aber sei­en wir ehr­lich – Netz­jar­gon und Nerdig­keit, das ist doch längst ein­ge­si­ckert in den Mainstream.

Man geht nicht ein­fach nach Mordor, Good Guy Greg, denn: Win­ter is coming. Wer die­sen Satz ent­zif­fern kann, wird am Sound von Der Mar­sia­ner Freu­de haben. Meme nut­zen und ver­brei­ten wir, einen Jar­gon haben wir uns zu eigen gemacht, der visu­el­le Signa­le mit ver­ba­len mischt und nicht in einer Mut­ter­spra­che ver­harrt. Wir pro­du­zie­ren Tex­te vol­ler Smi­leys und tei­len bei Face­book oder Twit­ter Welt­raum-Hob­by­fo­tos unse­rer Astro­nau­ten von der I.S.S. Wenn die sich aus dem Orbit mel­den, herz­för­mi­ge Wol­ken pos­ten und etwas dazu schrei­ben, ist Mark Wat­neys Hal­tung schon vor­weg­ge­nom­men. In der Lite­ra­tur ist die Spra­che der Nerds sel­ten zu fin­den, man stel­le sich nur mal einen Wal­ser vor, des­sen Prot­ago­nist flie­ßend Leetspeak spricht und “My litt­le Pony”-Shirts trägt. Scha­de ist das, denn Natur­wis­sen­schaft­ler, IT-Exper­ten und Ent­wick­ler sind an den Inno­va­tio­nen heu­te fast schon mehr betei­ligt als wir in Wer­be­be­ru­fen und job­er­hal­ten­den, blut­lee­ren For­schungs­pro­jek­ten umher­ir­ren­den Geis­tes­wis­sen­schaft­ler. Nur ist es so, dass Nerds zu sel­ten Roma­ne schreiben.

Andy Weir ist Soft­ware Deve­lo­per – Geis­tes­wis­sen­schaft­ler kichern nun: Nerd – und er schreibt über das, was er liebt. In die­sem Fall einen Roman über das fik­ti­ve “ARES”-Projekt, bemann­te For­schungs­mis­sio­nen zum Mars. Auf sei­ner Home­page ver­öf­fent­lich­te er den Text bereits 2011, neben Kurz­ge­schich­ten und Fan­fic­tion. Sei­ne ande­ren Tex­te sind im eng­li­schen Ori­gi­nal noch online (Und ja, einer davon beginnt mit “Oh yeah. I’m a mer­maid.”). 2014 erschien die deut­sche Über­set­zung bei Hey­ne, und Fans der Hard Sci­ence Fic­tion dür­fen sich freu­en, denn er steht als wirk­lich­keits­na­he Tech­nik­vi­si­on in ihrer bes­ten Tradition.

Weirs Prot­ago­nist Mark Wat­ney ist eben­falls ein Mann mit vie­len Talen­ten. Bio­lo­ge, Tech­ni­ker, Mit­glied der ARES-3-Mis­si­on der NASA. Er erin­nert an den Mis­si­ons­lei­ter des Roset­ta-Pro­jek­tes, des­sen lebens­fro­hes Grin­sen nie von tech­ni­schen Pro­ble­men zu erschüt­tern war. Das schaff­te erst der Shit­s­torm (schon wie­der Jar­gon) um das nicht ganz jugend­freie Motiv sei­nes wäh­rend der TV-Über­tra­gung der Kome­ten­lan­dung getra­ge­nen Lieb­lings­hem­des. Wat­ney ist auch so einer. Ziel­stre­big, fröh­lich und unfass­bar tap­fer. Denn was ihm pas­siert, wünscht man nun wirk­lich kei­nem: Die Mars­mis­si­on geht schief, das Team bricht vor Ort ab und auf dem Rück­weg zur Lan­de­r­a­ke­te wird im Staub­sturm sein Raum­an­zug samt Elek­tro­nik schwer beschä­digt. Die ande­ren müs­sen ihn laut des­sen Anzei­gen für tot hal­ten und las­sen ihn bewusst­los zurück.

Wat­ney ret­tet sich in das bereits auf­ge­bau­te Wohn­mo­dul, in dem sich auch Vor­rä­te für einen kur­zen Auf­ent­halt befin­den. Dort errech­net er für sein ab sofort geführ­tes Jour­nal mit mar­ki­gen Wor­ten (“Ich bin am Arsch”) und mathe­ma­ti­scher Prä­zi­si­on das Zeit­fens­ter sei­nes Über­le­bens. Die­ser immer wie­der aktua­li­sier­te Count­down bil­det das Rück­grat des Romans. Eine Hoff­nung gibt es, denn der nächs­te bemann­te Flug ist bereits geplant – aller­dings erst in vier Jahren.

Es beginnt ein Kam­mer­stück auf dem roten Pla­ne­ten, denn Wat­ney denkt nicht dar­an, ein­fach fried­lich auf den Tod zu war­ten. Er hat Vor­rä­te, Res­te vor­an­ge­gan­ge­ner Mis­sio­nen, wird auf die ech­ten Mars-Rover als Mate­ri­al zurück­grei­fen und, tat­säch­lich, Kar­tof­feln anbau­en. Weir gibt zu, aus künst­le­ri­schen Grün­den an eini­gen Stel­len die Phy­sik etwas ver­bo­gen zu haben, damit die Sto­ry funk­tio­niert. Dazu gehört die außer Acht gelas­se­ne radio­ak­ti­ve Strah­lung des Mars-Rego­liths, den der stör­risch am Leben hän­gen­de Wat­ney in sein Habi­tat schleppt, um ihn mit Fäka­li­en gedüngt in einen Kar­tof­fel­acker zu ver­wan­deln. Die Kar­tof­feln, sie­ben Stück sind es am Anfang, sind das kurio­ses­te Detail des Plots, denn sie soll­ten eigent­lich als Thanks­gi­ving­din­ner die Moral der Mann­schaft heben, die ansons­ten brav auf Astro­nau­ten­kost zurück­greift. So wird Wat­ney also nicht nur der ers­te Mars­be­woh­ner, son­dern auch der ers­te Mensch, der auf dem Mars sein eige­nes Bio­ge­mü­se anbaut. In sei­nem Jour­nal macht der Bio­lo­ge sich unter­des­sen Mut, bis zur Selbst­mo­ti­va­ti­on (wie­der­um mit Mem­po­ten­zi­al) – “Mark Wat­ney darf nicht sterben!”

Unter­des­sen ent­deckt man bei der NASA, dass das bereits betrau­er­te Crew­mit­glied lebt. Der Mann­schaft der ARES-3-Mis­si­on, die sich auf dem psy­cho­lo­gisch anstren­gen­den und lang­wie­ri­gen Rück­flug befin­det, wird das zunächst ver­schwie­gen. Der Welt­öf­fent­lich­keit dage­gen nicht – quer durch alle Medi­en ent­wi­ckelt sich ein Wat­ney-Hype. Pro­jekt­ent­wür­fe zur Ret­tung des Astro­nau­ten kon­kur­rie­ren, eine chi­ne­si­sche Trä­ger­ra­ke­te könn­te der Schlüs­sel zu sei­ner Ret­tung sein, alter­na­tiv könn­te die gebeu­tel­te Crew in einem kom­pli­zier­ten Manö­ver erneut den Mars errei­chen. Es ist eine der Stär­ken des Tex­tes, dass er auf plum­pes Welt­all­crui­sen und flot­te Flug­ma­nö­ver à la Enter­pri­se ver­zich­tet. Einen ten­ta­kel­be­wehr­ten Frei­tag wird es auch nicht geben, und doch hat mit dem Mar­sia­ner das 21. Jahr­hun­dert sei­ne ers­te Hightech-Marsrobinsonade.

Mark Wat­ney, des­sen schnod­de­ri­ge Tap­fer­keit ihn zum Sym­pa­thie­trä­ger macht, wächst beim Lesen trotz der etwas zähen ers­ten Sei­ten vol­ler Glei­chun­gen, Stück­lis­ten und Rechen­ope­ra­tio­nen ans Herz, man will ihn wirk­lich nicht ster­ben sehen. Dazu kommt wie bei jeder guten SF der sozia­le Uto­pie-Anteil. Es sind nicht die USA, es ist die glo­ba­li­sier­te Welt­ge­mein­schaft, die Anteil am Schick­sal des Gestran­de­ten nimmt. Allein Chi­na ver­fügt zum benö­tig­ten Zeit­punkt zufäl­lig über (fast) ein­satz­be­rei­tes Mate­ri­al und in die­sem Nah­zu­kunfts-Sze­na­rio von einer zur Koope­ra­ti­on fähi­gen Mensch­heit heißt es bilan­zie­rend: “Die chi­ne­si­sche Raum­fahrt­agen­tur hat ein Pro­jekt auf­ge­ge­ben, an dem sie Jah­re gear­bei­tet hat­te, nur um eine Trä­ger­ra­ke­te bei­zu­steu­ern.” Das ist in Zei­ten, in denen ande­re am liebs­ten den kal­ten Krieg neu aus­ru­fen wol­len, ein star­ker Zug.

Cha­rak­te­ris­tisch ist der Sound der kur­zen Jour­nal­ein­trä­ge, die tat­säch­lich dem Sozio­lekt ent­spre­chen, den wir aus dem Inter­net und tech­ni­schen Umfel­dern ken­nen. “Fürch­tet mei­ne bota­ni­schen Kräf­te”, Flü­che, Meme, Brüs­te-Emo­ti­cons im Mars­staub, wenn der Astro­naut mit Mühe infor­miert wird, dass sei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­su­che mit der Erde welt­weit live über­tra­gen werden.

Apro­pos Brüs­te. Ein biss­chen Meckern muss doch sein. Weir gibt sich Mühe, weib­li­che Figu­ren ein­zu­bau­en und das nicht nur in den unte­ren Hier­ar­chie­ebe­nen. Die ARES-Crew hat eine ent­schei­dungs­star­ke Kom­man­dan­tin, die Pres­se­che­fin der NASA ist Voll­pro­fi durch und durch, auch die Ent­de­ckung, dass es auf dem Mars einen Über­le­ben­den gibt, macht eine NASA-Wis­sen­schaft­le­rin. Doch trotz ihrer hoch­spe­zia­li­sier­ten Jobs sind die Frau­en im Kon­trast zu ihren Posi­tio­nen Ste­reo­ty­pe, nah am Was­ser gebaut, ihre Unter­lip­pen beben, das liest sich stel­len­wei­se etwas merk­wür­dig, aber der gute Wil­le sei notiert.

Am Ende hat man immer noch eine fan­tas­ti­sche Sto­ry, die im Herbst 2015 auch in die Kinos kommt. Rid­ley Scott konn­te man dafür gewin­nen, Matt Damon wird Mark Wat­ney spie­len. Der Mar­sia­ner ver­spricht, als Film ein Knal­ler zu wer­den. Unbe­dingt soll­te man das Buch vor­her lesen, damit man weiß, wem man die Dau­men drückt. Trotz­dem sei hier nicht gespoi­lert, wie es aus­geht und ob es sich lohnt für die Chi­ne­sen, ihre Venus-Rake­te für den mil­li­ar­den­teu­ren Ret­tungs­ver­such eines ein­zel­nen Ame­ri­ka­ners auf­zu­ge­ben. Im Kino dürf­ten mit­ge­brach­te Taschen­tü­cher nicht scha­den, die Lek­tü­re des Romans soll­te man zum Wochen­en­de begin­nen, dann geht es in einem Rutsch bis zur Auf­lö­sung durch.

Der Mar­sia­ner im bes­ten Sin­ne leich­te Lite­ra­tur, dabei ein Buch für ganz unter­schied­li­che Ziel­grup­pen. Eins für Nerds (Par­don) und eins für alle, die immer schon davon geträumt haben, einen Astro­nau­ten zu hei­ra­ten. Es lohnt sich für die, die hoff­nungs­voll von der inter­na­tio­nal orga­ni­sier­ten bemann­ten Raum­fahrt träu­men und es ist defi­ni­tiv eins für die Fans von Hal­f­li­fe-Iko­ne Dr. Gor­don Free­man. Und nicht zuletzt kann es uns unter­hal­ten, die wir uns täg­lich im Inter­net bewe­gen und jeman­den end­lich mal so spre­chen hören wol­len, wie heu­te durch digi­ta­le Kanä­le gespro­chen wird. Wer will, liest es als Taschen­buch, da The Mar­ti­an ursprüng­lich Elek­tro­text war, tut es das E‑Buch aber auch.

Brit­ta Peters

Andy Weir: Der Mar­sia­ner. Hey­ne, 2014. 14, 99 €, E‑Buch 11,99 €.


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