Graphic Novel »Chasing Echoes«: Heilung braucht Zusammenhalt

Mit sen­si­blem Blick für sekun­dä­re Trau­ma­ta und viel Empa­thie erzäh­len Dan Gold­man und Geor­ge Schall in Cha­sing Echo­es von einer jüdi­schen Fami­lie, deren ent­frem­de­te Mit­glie­der gemein­sam nach Euro­pa rei­sen. Um Elton John sin­gen zu hören – und um Spu­ren ihres Vor­fah­ren zu fin­den, der im unbe­kann­ten Hei­mat­dorf eine Müh­le besaß und in Ausch­witz ermor­det wurde.

Fami­lie Bloom – gekom­men, um sich zusammenzuraufen

Die Gra­phic Novel bil­det die kul­tu­rel­le und sozia­le Viel­falt einer durch die Gräu­el des Holo­caust auf zwei Kon­ti­nen­ten zer­streu­ten Fami­lie ab und auch die Echos des des Trau­mas, das in ihren Lebens­läu­fen auch nach Gene­ra­tio­nen noch spür­bar ist. Ein­fühl­sam wird das an der lie­bens­wer­ten Prot­ago­nis­tin Mal­ka ver­deut­licht, die zwar einen Uni-Abschluss geschafft hat, aber im Leben so recht nichts auf die Rei­he kriegt – außer einer gro­ßen Recher­che­ar­beit über ihre Abstam­mung und die von den Nazis ermor­de­ten Familienmitglieder.

Dann sind da Dov Bloom und sei­ne Part­ne­rin Kao­ri, die gemein­sam eine jüdisch-grü­ne NGO mit eige­nem Com­mu­ni­ty-Por­tal betrei­ben und die mit ihrer chao­ti­schen Ver­wand­ten zuerst wenig anfan­gen kön­nen. (Span­nend wäre gewe­sen, beim Ansur­fen der genann­ten Web-Adres­se auch eine Sei­te hin­ter­legt zu fin­den, hier ver­ge­ben Autoren und Ver­la­ge häu­fig öko­no­mi­sches, aber auch poe­to­lo­gi­sches Potenzial).
Die Blooms tei­len den Nach­na­men nicht nur mit dem 2019 ver­stor­be­nen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Harold Bloom, des­sen wert­kon­ser­va­ti­ven Kon­flikt mit einer Diver­si­fi­zie­rung des lite­ra­ri­schen Kanons die in der Welt ver­streu­ten Fami­lie der Blooms mit sehr sanf­ter Hand kom­men­tiert. Sie tei­len ihn auch mit dem fik­ti­ven Zei­tungs­mann Leo­pold Bloom, durch des­sen Augen Joy­ce blick­te, als er sich mit dem Ulys­ses unsterb­lich mach­te. Eine Joy­ce Green hei­ra­tet in die Fami­lie denn auch ein, sie ist die Mut­ter von Dov und Noah, die als Mit­glie­der der jüngs­ten Bloom-Gene­ra­ti­on die Welt ihrer Vor­fah­ren erkunden.


Ver­gan­gen­heit hin­ter ver­schlos­se­nen Türen

Cha­sing Echo­es nimmt sei­nen Titel ernst, denn es gibt für die Fami­lie in Euro­pa kei­ne Zeu­gen oder Zeug­nis­se mehr, die direkt befragt wer­den könn­ten. Die Rei­se nach Polen an den ehe­ma­li­gen Wohn­ort des Groß­va­ters, wo man von einer Müh­le weiß, die er dort bis zu sei­ner Depor­ta­ti­on betrie­ben hat, bringt nur die über­le­ben­den Gene­ra­tio­nen näher zuein­an­der. Zeit­zeu­gen dage­gen geben wenig her. Es gibt einen grei­sen Nach­barn, der aber die Tür nicht öff­nen will für eine – viel­leicht retrau­ma­ti­sie­ren­de – Befra­gung. Man beschließt gemein­sam, dar­an nicht wei­ter zu rühren.

Die Gra­phic Novel über­zeugt mit lie­be­voll ange­leg­ten Figu­ren, die ein­an­der mit ihren Macken glaub­wür­dig auf die Ner­ven gehen. Die Fami­li­en­dy­na­mik ist anfangs ganz schön ver­fah­ren, es gibt Unge­rech­tes, Nicke­lig­kei­ten und doch darf sich zum Ende hin man­cher Bloom, erstaunt von sich und den ande­ren, um eini­ge (Selbst-)Erkenntnisse rei­cher fühlen.

Dan Gold­man, der sei­ner Figur Dov Bloom ein biss­chen ähn­lich sieht, kennt sich mit der Dar­stel­lung von Geis­tern und Wie­der­gän­gern aus. Er hat für das Fran­chise von The Wal­king Dead geschrie­ben und Red Light Pro­per­ties ver­fasst, einen Comic, in dem sich ein Mak­ler­paar mit dem Ver­kauf von Spuk­häu­sern her­um­schlägt. Der Bra­si­lia­ner Geor­ge Schall lebt als Autor und Comic­zeich­ner in Bar­ce­lo­na und hat für Cha­sing Echo­es einen war­men und sym­pa­thi­schen Look geschaf­fen, der dem Humor der Erzäh­lung eben­so gerecht wird wie den in Rück­blen­den dar­ge­stell­ten Schre­cken des Holocaust.

Trotz der leid­vol­len The­men, die Cha­sing Echo­es ver­han­delt, prägt den Band ein grim­mi­ger Humor ange­sichts aller Wid­rig­kei­ten, die den Nach­fah­ren der pol­ni­schen Bloom-Gene­ra­ti­on begeg­nen. Die­ser Humor reicht bis zu einer Meta­ebe­ne über die Hand­lung hin­aus, wenn Kri­tik über die aus­blei­ben­de Abdruck­ge­neh­mi­gung von urhe­ber­recht­lich geschütz­ten Lied­zei­len direkt in die Panels wan­dert. Die Blooms besu­chen, ein von Älte­ren geplan­ter Weg­punkt ihrer Euro­pa­tour, ein Kon­zert des bri­ti­schen Sän­gers Elton John. Der wird nicht nur scho­nungs­los in kit­schi­gen Pas­tell­far­ben gezeich­net, sei­ne Dar­bie­tung bleibt auch ver­wa­schen vage. Statt der Lyrics prä­sen­tie­ren die ent­spre­chen­den Sprech­bla­sen nur Dis­clai­mer, die lau­nig auf den Copy­right-Sta­tus des Mate­ri­als hin­wei­sen. Das tut dem Kon­zert­er­leb­nis der Prot­ago­nis­ten kei­nen Abbruch, betont für die Lesen­den aber das Frag­men­ta­ri­sche der Ein­drü­cke, die sie im Land ihrer Her­kunft gewin­nen können.


Schre­ckens­bil­der und Körperspuren

Nicht auf­ge­lös­te Ambi­va­len­zen und Par­al­lel­zie­hun­gen zwi­schen Gegen­wart und Ver­gan­gen­heit sind ein wich­ti­ges Stil­mit­tel der Gra­phic Novel. So trägt ein ört­li­cher Neo­na­zi, mit dem sich Mal­ka unver­mit­telt kon­fron­tiert sieht, sei­ne Gesin­nung in Form von kaum zu ver­ber­gen­den Täto­wie­run­gen zur Schau. Sie rufen Asso­zia­tio­nen zu den Täto­wie­run­gen auf, mit denen die Insas­sen der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger durch die Täter mar­kiert wur­den. Die frei­wil­li­gen Ent­stel­lun­gen des Neo­na­zis wer­den durch Mal­kas Blick zum Stig­ma, so wie ihn sei­ne Aggres­si­on gegen die jun­ge Frau das Gesicht ver­lie­ren lässt. Spür­bar wird nicht nur an die­ser Stel­le die Par­al­lel­set­zung vom gegen­wär­ti­gen Erle­ben der Figu­ren und den in gedeck­ten Far­ben gezeich­ne­ten Rück­blen­den, die das Schick­sal der ver­schlepp­ten und gequäl­ten Vor­fah­ren zeigt.

Cha­sing Echo­es folgt kei­nem „All Age“-Konzept, trotz­dem ist der Band auch für jün­ge­re Lesen­de ab unge­fähr 14 Jah­ren geeig­net. Genau beob­ach­te­te Lebens­re­gun­gen und gna­den­los nach der Beob­ach­tung gezeich­ne­te Bil­der gewäh­ren einen Blick auf das all­zu Mensch­li­che: Speck­röll­chen beim Anzie­hen, Abstür­zen mit dem alten Schul­freund und der Walk of Shame am Mor­gen danach, zufäl­lig schei­nen­de Per­spek­ti­ven, in denen der ältes­te leben­de Bloom plötz­lich Engels­flü­gel zu haben scheint. Jede Figur erhält, oft mit ein­fa­chen Mit­teln, Raum für ihre Ent­fal­tung und das ist viel­leicht eins der sym­pa­thischs­ten Details der lesens­wer­ten Gra­phic Novel über das Anle­ben gegen eine ver­dräng­te und ver­ges­se­ne Vergangenheit.


Echo und Trauma 

Bereits 2006 erschien ein kur­zer Roman des fran­zö­si­schen Schrift­stel­lers und Trau­ma-Exper­ten Phil­ip­pe Grim­bert. In dem mit auto­bio­gra­fi­schen Antei­len durch­wo­be­nen Bericht einer vom trau­ma­ti­sier­ten Schwei­gen der Eltern belas­te­ten Kind­heit im Frank­reich der Nach­kriegs­zeit wer­den ähn­li­che Dyna­mi­ken sicht­bar, die auch Cha­sing Echo­es the­ma­ti­siert. Grim­bert arbei­tet als Psych­ia­ter the­ra­peu­tisch mit Über­le­ben­den und so ist auch Ein Geheim­nis von fami­liä­ren Kon­flik­ten und von einem tie­fen Ver­ständ­nis für die in ihnen Ver­strick­ten geprägt. Auch in Grim­berts Text spielt das Echo eine Rol­le. Hier ist es ein Hund, der den Namen „Echo“ erhält und damit den nach dem in der Schoa ermor­de­ten Bru­der des Prot­ago­nis­ten benann­ten Plüsch­hund ersetzt. Dies geschieht lan­ge nach­dem dem Her­an­wach­sen­den bewusst wur­de, dass die Erin­ne­run­gen an einen „unsicht­ba­ren Freund“ ver­dräng­te Arte­fak­te aus dem frü­hen Gedächt­nis waren.

Nächs­tes Rei­se­ziel Israel?

Die Blooms, zusam­men­ge­rückt und wie­der mit­ein­an­der im Gespräch, tren­nen sich am Ende des Ban­des in ver­söhn­li­cher Stim­mung. Man stellt ein­an­der in Aus­sicht, eine sol­che Zusam­men­kunft zu wie­der­ho­len, viel­leicht in Isra­el bei Cou­si­ne Rachel, die dort ihre Hei­mat gefun­den hat. Auf einen zwei­ten Band dür­fen Lese­rin­nen und Leser daher hof­fen. Einen drit­ten, der die Fami­lie ins Kern­land der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Täter führt, mag man vor den lau­fen­den Ereig­nis­sen in Deutsch­land eigent­lich kei­nem der lie­bens­wer­ten Prot­ago­nis­ten von Cha­sing Echo­es zumuten.

Brit­ta Peters

Dan Gold­man, Geor­ge Schall: Cha­sing Echo­es. A gra­phic novel about gene­ra­ti­ons of sur­vi­vors sur­vi­ving each others. Huma­no­ids, 2019. 155 Sei­ten. In eng­li­scher Sprache.

Phil­ip­pe Grim­bert. Ein Geheim­nis. Roman. Suhr­kamp, 2006.


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